Donnerstag, 3. Dezember 2020

Gutachten, Hellfelder und Dunkelkammern

Gestern wurde wieder mal ein Gutachten vorgestellt. Ein Zwischenbericht. Fertig soll das bedrückende Werk erst in ca. 1 1/2 Jahren sein. Wissenschaftler*innen verschiedener Disziplinen der Uni Münster bemühen sich, die von sexueller Gewalt geprägten Verbrechen von Priestern an Kindern und Jugendlichen im Bistum Münster aufzuklären. Im Zeitraum 1945 bis heute.

 

 


 

Was sie tun können und worum sie sich offensichtlich akribisch bemühen, ist, Licht ins dunkle Grauen zumindest der Fälle zu bringen, die aktenkundig sind. Trotz des Dunkels ist dieses nur das Hellfeld. Hell nur im Sinne von dokumentiert.

Dass Betroffene im Laufe der Jahre sich aus Scham, aus Verdrängung  oder aus Angst gar nicht erst meldeten und melden, oder nicht gehört wurden oder ihre Anklagen niemals zu Papier gebracht wurden, kann in diesem düsteren Hellfeld kein Thema sein.

Die im Dunklen sieht man nicht: Tausende von Betroffenen versuchen bis heute, sich in Selbsthilfegruppen und Foren gegenseitig zu unterstützen, zu stärken, zu schützen. Die meisten von ihnen kämen niemals auf den Gedanken sich an eine Organisation um Hilfe zu wenden, deren Strukturen dafür sorgten, dass Täter sich ungestraft an ihnen vergehen konnten. Denn die Täter wussten, dass, falls die verletzten Kinder sich trotz Angst, Scham und Drohung  jemandem offenbaren würden, ihnen kaum jemand glauben würde und wenn, die klerikalen Brüder schon für eine saubere Fassade sorgen würden. Ich greife dies nicht aus der Luft, sondern habe hier traurige Quellen, die ich selbstverständlich nicht nenne.  Als ich einmal mit einem Bischof darüber sprach, dass wir wohl alle wüssten, dass an die offiziellen Zahlen der von sexueller Gewalt durch Priester Betroffenen wohl noch ein, zwei Nullen angehängt werden müssten, sagte er: natürlich, womöglich sogar drei oder vier...

Die im Verhältnis zum Dunkelfeld wahrscheinlich "wenigen" Fälle      ( das Zwischengutachten der Münsteraner Forscher*innen spricht von 300 Betroffenen und 200 Tätern im Bistum Münster seit 1945), die dokumentiert sind, zeigen laut Gutachter*innen offensichtlich einen desaströsen Umgang mit dem, was nicht sein durfte. 

Dass nun endlich unabhängige Gutachten erstellt werden ist gut, so sie denn der Öffentlichkeit im vollen Umfang zugänglich gemacht werden. Dies zu beauftragen ist keine Heldentat, damit hat sich niemand zu schmücken oder zu brüsten. Dies ist eine seit langem überfällige Selbstverständlichkeit- oder sollte es zumindest sein. In Köln sehen wir in diesen Tagen, dass man selbst die unterste Kante der Selbstverständlichkeit noch unterschreiten kann.

Der Leiter der münsterschen Forscher*innengruppe betonte, es gäbe kein Gutachten, das "gerichtsfest" sei, wenn es um Namensnennung gehe. Das steht im Widerspruch zur Kölner Behauptung, man könne "gerichtsfest " Namen nennen. Es sei denn, der erzbischöfliche  Anspruch ist so himmelhoch, dass er Namen noch Lebender ausschliessst...

Was muss aber das Ziel sein all dieser Bemühungen? Zunächst die Herstellung von einem Minimum an Gerechtigkeit den Betroffenen gegenüber, deren Leidensgeschichten mit den Gutachten dokumentiert werden. Denn eine Anerkennung des widerfahrenen Unrechts und  Leides ist für viele ein erster Schritt zum Aufatmen. 

Doch wie jetzt und in Zukunft Übergriffe und Verbrechen verhindern? Nehmen wir die oben erwähnten Dunkelziffer-Nullen des Bischofs als realistisch an, dann hat die römisch katholische Kirche nicht ein großes, sondern ein riesiges Problem. In Australien wird von 60000 Personen gesprochen, die Anspruch auf Entschädigung wegen sexueller Gewalt durch Kleriker hätten. Dort hätten 7 % der römischen Priester sexuelle Gewalt ausgeübt. Auch dies nur ein "Hellfeld"!   Hätten wir solche Zahlen im Sportbereich, alle Sportstätten würden staatlicherseits wohl erstmal geschlossen. 

  Das Argument, sexuelle Gewalt gegen Kinder gäbe es überall in der Gesellschaft ist immer schnell zur Hand, um zu erklären, zu relativieren, zu entschuldigen. Vor allen Dingen ist es schnell zur Hand, um auf gar keinen Fall zuzugeben, dass sexuelle Gewalt in der römischen Kirche eine systemische Ursache hat. Dabei läd schon allein  das römische System aus Macht, Gehorsam und streng pyramidaler Hierarchie ein zu jeglicher Art von Machtmissbrauch. Aber ist das allein eine Erklärung? "Bei euch soll es nicht so sein" sagte der, auf den sich die Kirche beruft. Dass es trotzdem so ist, ist bei der Machtausstattung, die geweihte Überhöhung mit sich bringt vielleicht menschlich verständlich. Aber sexuelle Gewalt?

Die Kirche hat ein ganz grundlegendes Problem mit Sexualität. Wenn überhaupt, gibt es inzwischen höchstens sehr zaghafte Ansätze, sie als Grundausstattung jedes Menschens anzuerkennen und wie Nahrung und Trinken zu unseren Grundbedürfnissen zu zählen. Ansonsten haftet ihr die Sünde an wie Dreck an den Schuhen. Allerhöchstens zum Zwecke des Kinderkriegens erlaubt, gehört sie in die fromme Schmuddelecke. Stellen wir uns einen Jungen vor, der in diesem Duktus erzogen wird. Der schon das Wort Sexualität nur in Verbindung mit dem Wort Sünde denken und fühlen kann. Jegliches Hineinfühlen in die eigene Sexualität, jeder Gedanke, jede Berührung  kann nur als Schuld empfunden werden. Wie soll da Freude entstehen, wie unbefangene Lust, wie ein reifes Verhältnis zum eigenen Körper und seinen Bedürfnissen? Wie verheißungsvoll ist da das Narrativ von der "Reinheit" des Priesters! Wohl gemerkt: Reinheit und Sexualität werden in guter römisch katholischer Tradition bis heute als unvereinbare Gegensätze gesehen. Sex gleich Sünde. Reinheit gleich Abwesenheit von Sex. Punkt. Heilige Mutter und Jungfrau Maria!!!

So zieht gerade das Narrativ der priesterlichen "Reinheit", der Zölibat, offensichtlich (neben erwachsen entschiedenen Menschen, die sich reif-lich für diesen Weg entscheiden,) auch junge Männer an, die vor lauter Sünden- und Schuldgefühlen, vor lauter Angst vor dieser vermeintlich teuflischen Energie, einen Ausweg sehen im Priesterberuf mit seiner Zölibats-Pflicht. Keiner fragt dann mehr, warum man keine Freundin hat.  Die "Reinheit" erhebt über all die Sünder. Das Etikett "Verboten" soll die unheilige Lust endgültig vertreiben. 

Beim Essen nennt man so ein selbstzerstörerisches Kontrollverhalten Ess-Störung. Wie nennt man es bei Menschen, die glauben, ihre Sexualität sei etwas schmutziges und böses, das es zu unterdrücken gilt? Und wie lange halten sie diese "Reinheit", hervorgerufen durch Angst vor ihren inneren vermeintlichen Dämonen, aus? Wir wissen, dass die meisten Täter im Klerikerstand erst ab Mitte, Ende 30 zu Tätern werden. 

Die  Polarität Reinheit-Sexualität spukt immer noch wie ein Gespenst in römisch katholischen Köpfen herum. Solange diese Vorstellung nicht einem neuen Selbstbild weicht, in dem der Mensch sein darf mit all der Gott -geschenkten Lebenslust und Freude, solange wird es diese anscheulichen Verbrechen geben auch von Menschen, die sich eigentlich in die Nachfolge des Jesus von Nazareth begeben wollten, der sagte: Was ihr den geringsten meiner Geschwister tut, das tut ihr mir. 

Die behauptete Polarität von Reinheit und Sexualität bringt die klerikalen Machthaber letztlich auch dazu, die Verbrechen der "reinen Brüder" zu vertuschen und Täter einfach zu versetzen und ihnen so die Gelegenheit zu neuen Verbrechen zu geben. Das zur Schau gestellte Entsetzen über die Taten zeigt weniger erschrockene Scham als meist vergebliches  Bemühen, das allseits bekannte Unheil nun in angemesseneWorte kleiden zu müssen. Vergeblich, weil unglaubhaft, solange sie letztlich jedes Schuldeingeständnis umgehen. 

Ich habe noch von keinem Verantwortungsträger gehört, der öffentlich an die düster hellen Verbrechens-Zahlen sein heimliches Wissen um mehr Nullen hängt. Ans Licht kommt eben nur das Beweisbare. Das unbeweisbare Wissen bleibt im Dunkeln und ungesagt. Da tritt niemand vor und schreit laut STOP! Wir müssen unseren Sinn ändern! WIR müssen uns wandeln! Sonst sind wir verloren. Denn:

Sonst hört es nie auf!  

Lisa Kötter

 

  

 

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